Erfahrungen aus Brandenburger Kommunen zur Umsetzung des § 18a

Auszug aus der Broschüre #machtmal18a - Auswirkungen des 18a auf die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen

Neuruppin ist Kreisstadt des im Norden des Landes Brandenburg gelegenen Landkreises Ostprignitz-Ruppin. Sie ist der traditionelle Hauptort des Ruppiner Landes. Zum Gedenken an den hier geborenen Dichter Theodor Fontane trägt sie den Beinamen „Fontanestadt“. Sie hat etwa 30.785 Einwohner*innen und ist in 13 Ortsteile untergliedert. Die Stadtverordnetenversammlung umfasst neben dem hauptamtlichen Bürgermeister 30 Stadtverordnete.

 

„Wenn Stadtverordnete mir gegenüber äußern, dass Kinder und Jugendliche nicht informiert genug seien, um beteiligt zu werden, dann stelle ich Ihnen die Gegenfrage: „Meinen Sie, dass wirklich alle Erwachsenen genug informiert sind, um immer beteiligt zu werden?“.“

Daniela Kuzu

Seit März 2019 ist Daniela Kuzu erste Beigeordnete und Vize-Bürgermeisterin der Stadt Neuruppin. Mit ihr waren wir zur Kinder- und Jugendbeteiligung in Neuruppin im Gespräch.

Kompetenzzentrum Kinder- und Jugendbeteiligung Brandenburg (KiJuBB): Seit 2019 im Amt - das ist für politische Prozesse verhältnismäßig kurz. Was können Sie zur Kinder- und Jugendbeteiligung aus Neuruppin berichten?

Daniela Kuzu (DK): Das Gesetz wurde 2018 in Kraft gesetzt, und ich bekam das Thema mit meinem Amtsantritt auf den Tisch. Aufgrund der begrenzten Kapazitäten in der Stadtverwaltung wurde bis zu meinem Amtsantritt nicht an dem Thema gearbeitet. Ich habe Kinder- und Jugendbeteiligung dann zu meinem Kernprojekt gemacht, da ich bereits in der Vergangenheit Jugendarbeit im internationalen Bereich unterstützt hatte.

KiJuBB: Was waren Ihre ersten Schritte?

DK: Meine bisherigen Erfahrungen waren, dass es häufig top-down geregelt wird. Da bestimmen Erwachsene wo, wie und an welchen Themen Kinder- und Jugendliche beteiligt werden. Das wollte ich so nicht. Wir – Vertreter*innen aus dem Justiziariat, dem Hauptamt, dem Amt für Bildung, Kultur und Soziales, die Gleichstellungsbeauftragte und ich – haben beschlossen, die Kinder und Jugendlichen selbst zu fragen und haben sie zu einem „Mit Misch!“–Seminar eingeladen, das wir im Juni 2019 durchgeführt haben.

Neuruppin MischMit Ergebnis AGs

KiJuBB: Insbesondere bei Kindern und Jugendlichen ist es wichtig, dass es nach solchen Auftaktveranstaltungen schnell wirkmächtig weitergeht. Wie haben Sie in Neuruppin weiter gemacht?

DK: Während des Seminars haben die Kinder priorisiert, welche Themen ihnen am wichtigsten sind. Die prioritären Themen Klima, Umwelt und Energie haben wir zu den Kerninhalten eines im März 2020 durchgeführten ersten Jugendforums gemacht. Zwischen Seminar und Jugendforum haben wir den Kinder- und Jugendbeirat, der mit dem Ende der Legislatur im Mai 2019 aufgelöst wurde, wiederbelebt.

KiJuBB: Bevor wir uns dem Jugendbeirat widmen: Wie verlief die Jugendkonferenz?

DK: Der Zuspruch hat sich seitdem „Mit Misch!“-Seminar erhöht. Wir haben 100 Kinder und Jugendliche erreicht. Auf der Konferenz haben wir verschiedene Thementische vorbereitet. Diese wurden von ortsansässigen Expert*innen moderiert.

Es gab zum Beispiel einen Tisch „Abfall und Müllentsorgung“, der von einem Vertreter unserer ortsansässigen Entsorgungsgesellschaft begleitet wurde. Hier haben sich die jungen Menschen zu den Problemen in der Stadt ausgetauscht und unter fachlicher Expertise eine eigene Vorlage für die Stadtverordnetenversammlung erarbeitet. Andere Thementische haben auch Vorschläge für Beschlüsse machen können. Am Ende der Konferenz haben die Kinder und Jugendlichen demokratisch abgestimmt welche Beschlussvorlage mehrheitlich angenommen wird und auch mit 5000 € realisiert werden kann. Der erfolgreiche Beschluss sieht vor, dass zwei Mülleimer in der Stadt installiert werden, die eine Mülltrennung gewährleisten. Die Stadtverordnetenversammlung hat diesen Beschluss aufgegriffen und beschlossen, dass zukünftig alle Mülleimer, die ersetzt werden sollen, den Vorgaben entsprechen, die von den Kindern und Jugendlichen gefordert wurden.

Auch die anderen Tische haben jeweils bis zu zwei Vorlagen erarbeitet. Diese habe ich der Stadtverordnetenversammlung auf informellem Wege zukommen lassen.

Die nächsten Jugendkonferenzen werden coronabedingt erst im kommenden Jahr stattfinden. Die Themenschwerpunkte, die von den Kindern und Jugendlichen benannt wurden, sind Verkehr und Stadtentwicklung.

KiJuBB: Was ist aus Ihrer Sicht für eine gelungene Jugendkonferenz notwendig?

DK: Es muss eine gute Mischung aus Information, Politik und Spaß geben. Bei unserer Konferenz hatten wir eine Wanderausstellung zum Thema Klima, Umwelt und Energie konzipiert, die auch danach in allen städtischen Schulen gezeigt wurde. Wir haben Politik gemacht, aber auch Pausen für die Kinder angeboten, in denen sie mit Hilfe des Alba Mobils (umgebautes Müllauto mit Basketballkorb) Basketball spielen konnten. Das Gesamtkonzept hat den jungen Menschen Spaß gemacht!

KiJuBB: Sie erwähnten, dass Neuruppin seinen Jugendbeirat im Mai 2019 auflöste, um ihn dann im Januar 2020 wieder ins Leben zu rufen. Erzählen Sie uns bitte mehr dazu.

DK: Die Mitglieder des ehemaligen Jugendbeirates waren zwischen 20 und 35 Jahre alt. Das ist nicht unbedingt ein originärer Jugendbeirat. Auch wenn ich mir darüber im Klaren bin, dass so ein Beirat kein Initiativrecht hat, hat er dennoch andere Wege, um Wirkung zu entfalten. Deswegen war es so wichtig, einen neuen Beirat mit jüngeren Mitgliedern zu gründen.

Ich habe die Schulen aufgefordert, Wahlen abzuhalten und je Schule ein ordentliches Beiratsmitglied und eine*n Stellvertreter*in zu benennen. Dazu musste ich viel Lobbyarbeit vor Ort machen. Die Schulangehörigen waren nicht davon überzeugt, dass so ein Beirat etwas bringen würde und sich auch genügend Schüler*innen dafür finden würden.

Letztlich hat die Realität gezeigt, dass dem ganz und gar nicht so ist. Wir haben 23 Mitglieder zwischen 10 und 27 Jahren für den Jugendbeirat gewinnen können. Heute hat der Beirat aufgrund von Wegzug und geänderter individueller Lebensumstände immerhin noch 17 Mitglieder, aber ich bin weiterhin dran, die Kinder und Jugendlichen für dieses Projekt zu begeistern.

KiJuBB: Wie ist die Aussage, dass der Beirat andere Wege hätte, um Wirkung zu entfalten, gemeint?

DK: Nun ja, unser Beirat hat Rederecht in den Ausschüssen. Soweit so unzureichend. Wenn man einen Beirat aber richtig befähigt, dann ist er in der Lage, auch andere Kanäle zu nutzen.

In Neuruppin haben wir das Glück, dass wir einige sehr junge Stadtverordnete um die 22 Jahre haben. Drei dieser Stadtverordneten wurden von der Stadtverordnetenversammlung in den Jugendbeirat entsendet. Hier findet also regelmäßiger Austausch statt.

Mitglieder des Jugendbeirates müssen aber auch in ihren persönlichen Fähigkeiten gestärkt werden. Ich habe ihnen Arbeitshilfen erstellt, wie man Diskussionen richtig führt, Stellungnahmen schreibt, Gesprächsrunden moderiert. Immer wenn ich ein Entwicklungspotential identifiziere, gibt es eine Minischulung inklusive Arbeitshilfe von mir. Das heißt aber auch, dass so ein Jugendbeirat eine sehr engmaschige Betreuung benötigt, wenn er nachhaltig und wirkungsvoll arbeitsfähig sein soll.

So konnte unser Beirat bereits in kürzester Zeit eine erste Stellungnahme zum Mobilitätskonzept verfassen und in die Stadtverordnetenversammlung einbringen.

KiJuBB: Eine Stellungnahme ist wichtig, doch kann sie schnell ein zahnloser Tiger werden, weil das Abstimmungsrecht fehlt. Wie stellen Sie sicher, dass die jungen Menschen nicht nur scheinbeteiligt werden und solcherlei Mühen auch tatsächlich wirken können?

DK: Auf zwei Wegen: Erstes kann auch ein Beirat an die Öffentlichkeit gehen und Druck aufbauen. Der Beirat hat ein eigenes Presse- und Öffentlichkeitsarbeit-Team zu diesem Zweck gegründet. Zweitens mit sehr viel Hintergrundarbeit. Diese Netzwerk- und Lobbyarbeit mache vorrangig ich, beziehe aber auch die Kinder und Jugendlichen mit der Intention ein, dass diese bald befähigt werden, diese Arbeit selbst zu tun.

KiJuBB: Was sind Ihre Erfahrungen, die Sie aus den vergangenen Prozessen ziehen?

DK: Mit der Stellungnahme hat der Jugendbeirat die anderen Beiräte angeregt, vermehrt eigene Stellungnahmen zu verfassen. Diese haben seit Jahren keine schriftlichen Stellungnahmen mehr geschrieben, außer in den Protokollen ihre Meinung zu bestimmten Themen mitgeteilt. Durch Kinder- und Jugendbeteiligung erhöht sich auch die Beteiligung im Allgemeinen.

Um Kinder- und Jugendbeteiligung insgesamt nachhaltig zu verankern, müssen die Stadtverordneten eng eingebunden werden. Es wäre extrem hilfreich, wenn die Sprache in Politik und in Verwaltung kindgerechter würde. Zudem müssen die Beteiligten offen sein, neue Strukturen und Methoden auszuprobieren. Das bezieht sich auch auf die formellen und informellen Kommunikationswege. Die Stadt hat zum Beispiel eine eigene Mailadresse eingerichtet. Die wird allerdings leider nicht genutzt; dafür aber andere informellere Kanäle. In der Hoffnung, dass wir die Kinder und Jugendlichen in den Schulen besser erreichen, werden dort künftig Kummerkästen angebracht.

Insgesamt muss ich allerdings auch eingestehen, dass ich aufgrund meines Amtes auf weniger Widerstand stoße, als es wahrscheinlich bei einem ehrenamtlich arbeitenden Kinder- und Jugendbeauftragen der Fall wäre. Hier muss ressourcenmäßig in einigen Kommunen nachgesteuert werden und sollte auch von der obersten Führungsebene einer Stadt oder Gemeinde gewollt und vorangetrieben werden. Wie immer zählt hier alleinig der (politische) Wille!

KiJuBB: Was würden Sie sagen, inwiefern hat sich der § 18a auf Kinder- und Jugendbeteiligung ausgewirkt?

DK: Die Gesetzesnovelle hat Kinder- und Jugendbeteiligung auf die Agenda der Kommunen gebracht. Bei einigen Kommunen kam der Aha-Effekt, und bei anderen wird es eher alibimäßig umgesetzt. Ich hoffe, dass ähnlich wie bei der Gleichstellung die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen irgendwann automatisch mitgedacht wird und dass die Menschen erkennen, wie vorteilhaft es ist, neue Perspektiven der jungen Menschen einzunehmen. Beteiligung von Kindern und Jugendlichen kann auch den Erwachsenen Spaß machen.

Und letztlich: Kinder und Jugendliche sollen in den Kommunen gehalten werden und sind die Wähler*innen von Morgen. Es ist nur folgerichtig, dass wir sie frühestmöglich an der Gestaltung ihrer Stadt beteiligen. Umso mehr sie sich mit ihr identifizieren, desto höher die Chance, dass sie bleiben bzw. wiederkommen.

Das Kompetenzzentrum für Kinder- und Jugendbeteiligung Brandenburg ist ein Projekt der:

kijube der patritaetische Stiftung Wohlfarhtspflege Brandenburg Logo
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Es wird finanziert aus Mitteln des Landes Brandenburg durch das Ministerium für Bildung, Jugend und Sport.